Jens Lehmann MdB

Gedanken zu Afghanistan

Wir müssen uns bitter eingestehen: auch der Westen ist in Afghanistan gescheitert. 20 Jahre Einsatz konnten keine nachhaltigen Strukturen etablieren, die wehrhaft genug sind, um sich gegen die mittelalterliche Ideologie der Taliban zu behaupten. Am traurigsten

stimmt mich nun die Erkenntnis, dass das Vermächtnis der gefallenen Bundeswehrsoldaten mit Füßen getreten wird. Auch von den ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräften, deren Kampfmoral für ihr Land und ihre afghanischen Mitbürger nicht existierte. Sie haben das Land kampf- und würdelos den Taliban überlassen.

Nun gilt es, alle noch im Land verbliebene Deutsche und schutzbedürftige Ortskräfte so schnell wie möglich zu evakuieren! Dennoch sollten wir trotz der gebotenen Eile aber auch darauf achten, dass wir zunächst denjenigen Hilfe zuteilwerden lassen, die uns in der Vergangenheit vor Ort unterstützt haben.

Alle weiteren Schritte der Evakuierung müssen dennoch wohlüberlegt abgestimmt und umgesetzt werden, um eine Situation wie im Jahr 2015 - Kontrollverlust an den Grenzen und ungezügelter Zuzug nach Deutschland - zu vermeiden.

Nach der Evakuierung bedarf es einer schonungslosen und ehrlichen Bilanz. Denn es ist offensichtlich, dass hier gravierende Fehler passiert und Fehleinschätzungen gemacht wurden!

Was können wir, was können wir nicht, was wollen wir, was wollen wir nicht? Deutschland muss für sich präziser definieren, welche geostrategischen Interessen es gibt und wie wir diese künftig durchsetzen wollen. Dazu gehört auch der strategische Ansatz in der Außen- und Verteidigungspolitik.

Für die Bundeswehr müssen wir realistische Ziele definieren. Dazu müssen wir auf NATO-Ebene und auf europäischer Ebene an den Tisch setzen und die Folgen daraus diskutieren.

Weiterhin bedarf es einer kritischen Überprüfung, was in diesem Einsatz schiefgelaufen ist. Wieso die Regierung Warnungen der Mitarbeiter vor Ort sehr lange ignoriert hat. Wieso die Evakuierung so spät eingeleitet wurde, auch wenn viele Stellen – so auch meine CDU/CSU-Kollegen der AG Verteidigung und ich  - zuvor zu einer früheren Evakuierungsmission gedrängt haben. Insbesondere muss hier das Wirken des Auswärtigen Amtes als federführendes Ministerium untersucht werden.

Ich bedanke mich bei allen eingesetzten Soldaten, die in Afghanistan gedient und ihren Auftrag bravourös ausgeführt haben. Und ich danke allen Soldaten, die derzeit in Kabul sind und die Menschen vor Ort evakuieren.